Vom Menschenglück aber weiß ich, dass es niemals in sich beständig bleibt

Herodot (I 5, 4)

Ahmose, ein skandalöser Pharao ist bei Amazon erhältlich

Urheberechtlich geschütztes Material

Der ägyptische Kalender

Das altägyptische Jahr besaß bereits 365 Tage. Es wurde in drei Jahreszeiten unterteilt, die wiederum in vier Monate zu je 30 Tagen eingeteilt wurden. Die überzähligen Jahrestage wurden als Zusatztage an die letzte Jahreszeit angehängt und je einem Gott als Geburtstag zugeordnet. (Wikipedia)

Ich habe mich am reformierten Kalender ab der 19. Dynastie (Bürgerliche Mondkalender) orientiert.

Jahreszeit Achet (Überschwemmung)

Monat 1: Djehuti/Thot (Juni/Juli)

Monat 2: Pa-en-Ipet (Juli/August)

Monat 3: Huthor/Hathor (August/September)

Monat 4: Ka-her-ka (September/Oktober)

Jahreszeit Peret (Aussaat/Winter)

Monat 1: Taabet (Oktober/November)

Monat 2: Mecher (November/Dezember)

Monat 3: Pa-en-Amenhotep (Dezember/Januar)

Monat 4: Pa-en-Renenutet (Januar/Februar)

Jahreszeit Schemu (Ernte/Sommer)

Monat 1: Pa-en-Chonsu (Februar/März)

Monat 2: Pa-en-inet (März/April)

Monat 3: Ipip (April/Mai)

Monat 4: Mesut-Re (Mai/Juni)

Prolog

Die Schlacht bei Pnubs (ca. 592 v. Chr.)

Pa-en-Chonsu, 1. Monat der Erntejahreszeit Schemu, un­weit des 3. Katarakts, 12. Tag, im dritten Regierungs­jahr Pharao Psammettichs dem Zweiten.

 

Blutrot erhob sich das Auge des Re über den Rand der felsigen Hochebene, in die der Nil, der Herr des Lebens und der Fruchtbarkeit, vor Urzeiten sein breites Bett gegraben hatte. Mit der glühenden Scheibe im Rücken wirkte die schwarze Silhouette der Armee des Pharaos noch bedroh­licher, als sie es ohnehin war.

Doch das durfte, nein, das würde er nicht zulassen! Schließlich floss in seinen Adern das Blut des gött­lichen Amun-Re, des Herrn der Welt!

Zorn breitete sich in ihm aus, heiß wie die Strahlen der aufgehenden Sonne, und verdrängte den leichten Anfall von Furcht. Was bildete sich Psammettich eigentlich ein?

Er, Aspelta von Kusch, hatte viel eher das Recht Ägypten anzugreifen, um diesem Emporkömmling die Doppelkrone und das Land zu entreißen. Schließlich war er der Enkel Tanot-amuns, des letzten legitimen Herrschers über das fruchtbare Niltal vom sechsten Katarakt an bis hin zum Delta des Flusses. Nur durch den schmählichen Verrat der gierigen Gaufürsten war es den Assyrern gelungen, die Armeen seines Großvaters bis hinter Suene zurückzudrängen. Andernfalls säße er heute auf dem Thron der beiden Länder und nicht dieser prunksüchtige Wicht.

Wut flutete sein Herz.

Wäre sein Bruder und Vorgänger im Amt, König Anlamani, nicht vor drei Monaten überraschend ver­storben, dann stünden sie jetzt beide vor den Toren von Sais und würden Psammettich vernichten. Schließlich wusste jeder, dass Ägypten kaum noch in der Lage war seine Soldaten zu entlohnen.

Anlamani hatte bereits Unterhändler zu den grenz­nahen Festungen geschickt und die dort stationierten Machimoi aufgefordert, sich auf ihre Seite zu schlagen. Solch einem Aufruf waren vor gut fünfzig Jahren schon einmal tausende von ihnen gefolgt. Fähige Soldaten, allesamt. Nachkommen der gefürchteten Kriegerkaste der Ma, die schon die Babylonier vertrieben hatten. Ihre Söhne kämpften nun an seiner Seite und sie würden dafür sorgen, dass es Psammettich ebenso schlecht ergehen würde, wie den Babyloniern, trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit.

Nur wer unbeugsam und fest an einen Sieg glaubt, hatte ihn schon sein Vater belehrt, der kann diesen auch erzwingen!

Und zu nichts anderem war er entschlossen, sofern die Götter ihm beistanden.

 

Auf der lang gezogenen Anhöhe, gut vier Chet vom Ufer entfernt, fuhr Pharao Psammetich in seinem goldenen Streitwagen die Front seiner Soldaten ab. Er trug die volle Rüstung und Bewaffnung eines Kriegers, obwohl er heute nicht kämpfen würde. Unter dem ledernen Spolas, der seinen Oberkörper schützte, und über und über mit goldenen Schuppen besetzt war, wirkte der knielange weiße, mit Goldfäden durchwebte, vorne mehrfach gefaltete Lenden­schurz wie die Spitze eines Rammbocks. Er wurde von einem breiten, mit Goldplatten bewehrten Ledergürtel ge­halten, an dem ein kostbares Kurzschwert hing. Der Brustpanzer und goldene Beinschienen, wie sie die Griechen trugen, zeigten seine enge Verbundenheit mit seinen aus­ländischen Truppenteilen. Auf seinem Kopf prangte die majestätische Doppelkrone Unter- und Oberägyptens, Zei­chen seiner alleinigen Herrschaft über das fruchtbare Niltal nördlich des zweiten Katarakts. In seiner linken Hand hielt er einen sechs Ellen langen Speer aus schwarzem Ebenholz, dessen Spitze golden funkelte und mit der rechten lenkte er selber sein feuerfarbenes Gespann.

Gold war die Speise der Götter und nur der Pharao, ihr Stellvertreter und oberster Priester auf Erden, durfte dieses kostbare Metall in derartigem Überfluss öffentlich tragen. Es symbolisierte seinen Herrschaftsanspruch, seine göttliche Herkunft und seine Macht über die Welt der ihm untergeordneten Menschen.

Psammettich war sich der Wirkung seiner Erscheinung nicht nur auf seine Krieger, sondern auch auf die kuschitischen Feinde mehr als bewusst.

Er hatte mit voller Absicht diesen Hügel gewählt und diese frühe Stunde, in der Re jeden Tag aufs Neue von seiner Mutter Nut geboren wird. Ihr Blut färbte nicht nur die Aura der Himmelsscheibe rot, sondern ergoss sich auch über seine Rüstung und seinen Wagen. Rotgolden strahlend, wie der Gott selber, stand er auf seinem funkelnden Himmelswagen.

In der Mitte seiner Truppen angekommen, verhielt er die Pferde und ließ seinen Blick über die gesamte Front seines beeindruckenden Kriegsheeres schweifen. Ein verhaltenes Raunen bestätigte ihm, dass er zumindest bei seinen Krie­gern den gewünschten Eindruck erzielt hatte. Er brauchte den Sieg über Kusch dringend!

Durch die unseligen Niederlagen seines Vaters Necho, der die eroberten Gebiete der Philister und Palästina, kaum dass er sie besetzen konnte, wieder an die Babylonier verloren hatte, und durch seinen blinden Eifer, sich im Schiffsbau und der Erkundung der beiden Meere hervorzutun, ganz zu schweigen von seinem kostspieligen Kanalbauprojekt, das zehntausend Tote gefordert hatte und buchstäblich im Sand versunken war, hatte er beinahe die gesamten Reserven des königlichen Schatzhauses aufgebraucht. Nun musste er, sein Nachfolger, zusehen, wie er all die Söldner, die Tempel und Priester und seine ständig murrende Beamtenschar entlohnen konnte. Darum brauchte er Kusch und seine Schätze.

Bis heute verlief alles ganz nach seinem Plan. Nie­mand ahnte, dass er für den Tod König Anlamanis verantwortlich war. Eine taktische Notwendigkeit, um das wehrhafte Land vor seinem Angriff ins Chaos zu stürzen. Doch leider hatte Aspelta viel zu schnell seinen Herrschaftsanspruch festigen können. Das wie­derum zwang ihn dazu, rasch zu handeln und das Nachbarland heimlich wie ein feiger Dieb zu überfallen.

Einerlei.

Wenn es ihm heute gelänge, Aspelta zu töten oder gefangen zu nehmen, würden die Umstände seines Sieges schnell in Vergessenheit geraten. Zumal dann der Weg frei wäre nach Napata, seiner Hauptstadt und zu seinem Palast. Dort lagerten neben dem Goldvorrat des gesamten Landes auch Truhen voller Edelsteine, kostbare Möbel und viele andere Preziosen. Aspeltas Reichtum war nahezu legendär.

Er sah sich bereits selber in Memphis einziehen, an der Spitze einer endlos langen Karawane. Alle Einwohner der Stadt würden ihn erwarten und ihm huldigen auf seinem Weg zum Tempel des Ptah. Und natürlich würden sie auch den langen Zug mit den erbeuteten Viehherden, Sklaven und Schätzen bestaunen, die er mit sich führte. Zuerst würde er im Tempel opfern und dem Gott seinen Anteil an der Beute übergeben, anschließend würde er eine neue Stele errichten las­sen mit der Inschrift: Psammetich der Große, der siegreiche, der erhabene Gott, der mir Kusch zurück­gebracht hat.

 

Das Schnauben seiner Pferde riss ihn aus seinem visionären Traum. Stolz schaute er über die Rücken der beiden rotgoldenen Hengste hinweg, deren Fell beinahe so hell schimmerte wie seine Rüstung. Hinter ihren Bannerträgern standen seine Soldaten. Ihre Helme und Lederkappen glänzten wie bunte Perlen in einem mehrreihigen Pektoral. Gebannt schauten sie auf ihren Herrn, der, durchdrungen von der göttlichen Kraft seines Vaters Amun-Re, nun seine Arme aus­breitete, um sie alle zu einem einzigen Block zu verschmelzen.

»Machimoi, Griechen und Kalasierier«, donnerte seine kraftvolle Stimme über die Köpfe der starr ver­harrenden Krieger hinweg. »Ihr habt den guten Göttern die vor mir waren ehrenvoll gedient. Ihr habt Sieg um Sieg errungen, für das Wohl unseres Landes. Heute werden wir ein Versprechen einlösen, ein Versprechen das schon meine Vorfahren gaben. Denn heute wer­den wir die Größe Ägyptens in den Zustand zu­rückversetzen, die es dereinst unter Thutmosis dem Starken besaß!«

Er machte eine kurze Pause, damit auch seine fremd­ländischen Truppen begriffen, dass dieser Kriegszug etwas ganz Besonderes war.

»Kein einziger Kuschit hat es bisher gewagt sein Schwert gegen uns zu erheben. Feige wie alte, zahnlose Wölfe sind sie vor uns in die Wüste geflohen; und auch ihr König Aspelta, der Mutlose, wagt es nicht uns in offener Schlacht entgegen zu treten.

Seht sie euch an!«, brüllte er erregt, drehte sich halb um seine Achse und deutete mit der Spitze seiner Lanze in die Richtung des dicht bewachsenen Fluss­ufers, über dessen grünem Dickicht sich die fedrigen Kronen eines halbrund angelegten Palmen­hains erhoben. Vor den schlanken, grauen Stämmen drängte sich ein breiter Ring käfergroßer Gestalten, deren bronzen glänzende Flügel und schwarze Fühler sich nur bei genauem Hinsehen als metallbewehrte Schilde und überlange Lanzen entpuppten.

»Sie verbergen sich hinter Bäumen und unter Blättern wie ekliges, unreines Gewürm. Mutige Krieger würden uns in offener Schlacht entgegentreten«, fuhr er fort. »Doch sie wissen, dass sie uns unterlegen sind. – Schlagt sie, vernichtet sie, die Ehrlosen, bis auf den letzten Mann. Mit ihrer Feigheit beschämen sie die Götter. Und dann führt ihre Kinder und Frauen als Sklaven davon und teilt ihren Besitz unter euch auf. Das wird Amun-Re versöhnen.«

Lautes, zustimmendes Gebrüll erscholl, während die gleißenden Sonnenstrahlen ihn selber und seinen Wagen in das Ebenbild Atons verwandelten. Tausende von Armen reckten ihre Waffen zum Himmel empor, um dem Herrn beider Länder ihre bedingungslose Kampf­bereitschaft zu demonstrieren.

 

Ahmose, der Sohn des berühmten Feldherrn Chnum-ib-Re Taperu, stand auf seinem reich verzierten Streit­wagen in der vordersten Reihe der Truppenführer. Auch für ihn war heute ein besonderer Tag. Zum ersten Mal führte er eine ganze Division Soldaten in den Kampf und das bei diesem bedeutsamen Kriegszug, der allen Teilnehmern unvorstellbaren Reichtum ver­sprach.

Doch Reichtum war nicht sein Hauptanliegen. Für ihn stand mehr auf dem Spiel als Gold oder Sklaven. Heute kämpfte er für seine Ehre, für sein Ansehen und das seiner Familie und für Meritneith, seine heimliche Liebe.

Neithiti, wie er sie zärtlich nannte, war die schönste Blume im ganzen Palast. Ihr voll­kommener Körper glich dem einer jungen Gazelle, ihr Mund schmeckte süßer als Wein. In ihren Augen spiegelten sich die Sterne des Himmels, wenn sie ihn ansah, und ihre Haut, zart wie die Daunen junger Wachteln, duftete nach Iris und Minze. In ihren Armen vergaß er die Welt, und wenn sie ihn küsste, flog seine Seele dem Himmel entgegen. Nichts wünschte er sich sehnlicher, als sie für immer zu besitzen.

Doch nur der Pharao konnte sie ihm geben, denn Meritneith war seine jüngste, noch ledige Tochter. Nach seiner Rückkehr wollte er sie von ihm erbitten, als Belohnung für seine Tapferkeit in diesem Krieg. Darum musste er sich heute beweisen, musste zeigen, dass er der würdige Sohn seines früh verstorbenen Vaters war.

»Kann er nicht endlich das Zeichen zum Angriff geben?«, wandte er sich flüsternd an seinen Freund Patarbemis, dem er die hohe Ehre erwiesen hatte, den Wagen, das kostbarste Erbe seines Vaters, fahren zu dürfen. »Wir wissen doch alle warum wir hier stehen. Ruhm und Reichtum, das ist es, was die meisten von uns wollen, den Pharao miteingeschlossen. Niemand denkt in diesem Augenblick wirklich an die Götter.«

»Versündige dich nicht Ahmose!«, flüsterte Patarbemis zurück, ohne den Blick von den beiden nervös tänzelnden Hengsten zu nehmen. Auch seine Pferde spürten die allgemeine Anspannung in ihrem Rücken. »Wenn dich jemand so sprechen hört und der Angriff misslingt, dann geben sie dir womöglich die Schuld daran, weil du die Götter beleidigt hast. Du weißt doch, wie abergläubisch gerade die altgedienten Soldaten sind.«

»Natürlich weiß ich das. Mein Vater war ja auch nicht besser. Aber im Gegensatz zum Pharao hat er immer um die sichere Rückkehr seiner Männer gebeten. Vielleicht haben ihn die Götter deshalb geliebt.«

»Sicher haben sie ihn deshalb geliebt. Darum konnte er ja auch fast jeden Angriff für sich entscheiden. Hof­fentlich ist sein Geist heute bei dir. Gegen die zielsi­cheren Bogenschützen da unten, kannst du jede Hilfe gebrauchen.«

 

Die rotgoldenen Strahlen der Sonnenscheibe hatten sich während der aufpeitschenden Ansprache des Pharaos in irisierendes Silber verwandelt. Als er nun seinen Wagen wieder in Bewegung setzte, umtanzten ihn unzählige, gleißende Blitze. Zwei davon rasten auf Ahmose zu und verfingen sich in seinen Augen. Reflexartig senkte er den Kopf.

Ein brennender Schmerz fuhr durch seinen Schädel, heiße Funken explodierten hinter seinen geschlos­senen Lidern. Er ließ die Standarte mit dem Bild der Göttin Neith, der Schutzpatronin seiner Geburtsstadt Sais und seiner Division los und riss beide Hände hoch. Doch der Schmerz breitete sich aus. Er zog bis in seine Schläfen und setzte sich dort fest. Angst erfüllte sein Herz. Was geschah da gerade mit ihm? Heiß rauschte sein Blut durch seine Adern und in dem rhythmischen Brüllen der Soldaten erkannte er einen Namen: Chnum, Chnum, Chnum, Chmum … riefen sie, bis sein Herz im Takt des Namens mitschwang. Chnum, jubelte seine Seele – und die Stimme seines Vaters antwortete ihm: Weihe dein Herz und deine Seele Amun-Re, dem Herrn des Himmels. Er wird dir den rechten Weg weisen.

 

»Ahmose, wach auf!« Eine kräftige Hand schüttelte seine Schulter. »Träumst du? Wach auf und kämpfe! – Ahmose!«

Prinz Apries hatte seinen Streitwagen neben seinem angehalten, war abgesprungen und versuchte, seine Lethargie zu durchbrechen. Als Ahmose verwirrt blin­zelte, nickte er ihm noch einmal zu, kletterte zurück auf seinen Wagen, packte sein Schild und seine Lanze und schaute sich noch einmal nach ihm um.

»Ahmose!«, donnerte seine machtvolle Stimme.

Wie eine Welle schlug der Kampflärm über ihm zu­sammen und riss ihn in die Gegenwart zurück.

»Bist du bereit? … Dann los!«

Mit hochgerecktem Arm, die Lanze wie eine Standarte in der Hand, führte Prinz Apries seine Abteilung Streit­wagen auf die Flanke der gegnerischen Streitmacht zu.

»Der König hat soeben den Angriff befohlen! Warum zögerst du noch?«, rief sein Freund Patarbemis im selben Augenblick und versuchte, die beiden Hengste zu zügeln, die gleichzeitig mit dem Wagen des Prinzen angesprungen waren. Der unerwartete Ruck hätte Ahmose beinahe aus dem Aufbau geworfen, hätte er nicht in einem unbewussten Reflex seine Finger um die mit doppeltem Schilfgeflecht bespannte Brüstung gekrallt.

»Bist du verrückt geworden?«, brüllte Ahmose und boxte seinen Freund in den Oberarm. »Beinahe wäre ich vom Wagen gefallen!«

»Selber schuld, wenn du träumst«, blaffte der zurück. »Wir greifen an! Sieh zu, dass du deine Fußtruppen in Bewegung setzt! Prinz Apries und General Potasimto sind uns bereits um hundert Schritte voraus!«

Ahmoses Kopf schwang herum.

»Bei Sobek …«, zischte er entsetzt.

Erst jetzt bemerkte er die allgemeine Bewegung um sich her­um. Und genau vor ihm, so, wie es Patarbemis gesagt hatte, lief das Bataillon der Hopliten den Hügel hinab. Seine Hand schoss nach vorne und packte den Stab der Standarte. Schwungvoll hob er seinen Arm.

»Vorwärts ihr Löwen von Sawe, ihr Hornissen von Suene!«, brüllte er über die Köpfe der bereits besorgt murmelnden Männer hinweg. »Macht eurem König Ehre und befreit das Land von Kusch von seinen Unterdrückern!«

Mit einem wütenden Kampfschrei antworteten ihm die Soldaten und fielen umgehend in den wohlgeübten Laufschritt ein, der sie schnell, doch ohne große Anstrengungen, dem Kampfplatz entgegenbrachte. Patarbemis gab den beiden Hengsten die Zügel frei und so rollte auch der Wagen mit dem Banner der Neith der Schlacht entgegen.

 

Während Ahmose mit seinen Kriegern vorrückte, hatten die Streitwagen der illyrischen Bogenschützen bereits die Ebene überquert und griffen die ersten Reihen der breit gefächert stehenden Nubier an. Wieder überwältigte Ahmose dieses unwirkliche Gefühl. Er sah Blut spritzen, abgeschlagene Gliedma­ßen und verkrümmt dahingestreckte Körper. So viel rotes Blut auf dunkler Haut.

»Achtung!«, brüllte ihm Patarbemis ins Ohr.

Zwei dunkelhäutige Kuschiten rannten seitwärts auf seinen Wagen zu, die langen Lanzen auf Ahmose gerichtet. Er befand sich jetzt inmitten des Schlacht­getümmels. Die Pferde kamen nur langsam voran. Mit wildem Schwung schlug er einem der Angreifer die Lanzenspitze ab und blockte mit seinem Schild den folgenden Stoß. Der andere Angreifer strauchelte im letzten Moment. Zitternd grub sich seine Lanze ins Holz des Streitwagens. Ahmose sprang vom Wagen und stürzte sich auf den ersten Mann. Der riss noch sein Schild hoch, konnte jedoch der ungestümen Kraft des Jünglings nicht standhalten und stürzte rücklings zu Boden. Ahmose zögerte nicht, sondern rammte ihm sein Schwert in den Bauch. Der Schmerzensschrei des tödlich Verwundeten ging in dem wütenden Schrei seines Gefährten unter. Mit erhobenem Schwert und zornig gebleckten Zähnen sprang er auf Ahmose zu. Instinktiv wirbelte der herum und konnte gerade noch den ersten Schlag blocken. Zu seinem Glück traf sein Gegner mit der Handwurzel den bronzenen Rand seines Schildes. Mit einem Schmerzensschrei ließ er das Schwert fallen. Es bohrte sich direkt neben seinem Fuß in die Erde. Ahmose warf sich herum und stieß zu. Metall traf auf Widerstand, glitt weiter und durchschnitt einen weiteren Lebensfaden. Mit weit aufgerissenem Mund brach sein Gegner zusammen. Ahmoses Schwert glitt aus dem noch warmen Körper. Heiße Flüssigkeit rann über seine Hand. Er staunte, wie leicht das ging, und starrte auf die beiden toten Feinde zu seinen Füßen.

»Komm her! Du musst wieder aufsteigen!«, brüllte die schrille Stimme seines Freundes. Wie in Trance drehte sich Ahmose um, und bestieg den Wagen.

»Das hast gut gemacht! Nur weiter so. Sieh, dort vorne, da kämpft Prinz Apries. Wollen wir uns ihm anschließen?«

»Ja, natürlich.«

Ahmose schüttelte diese bleierne Schwäche von sich ab. Er hatte getötet, das erste Mal in seinem Leben. Und er musste weiter töten, sonst würde er den heutigen Tag nicht überleben.

»Fahr zu, Patarbemis!« Seine Stimme klang ent­schlossen. »Wir haben noch eine Menge Feinde vor uns!«

 

Keine zwei Chet entfernt lenkte der Kampfschrei der Soldaten die Aufmerksamkeit des Pharaos auf die Truppen seines ältesten Enkels. Die Standarte der mit Pfeil und Bogen bewaffneten Göttin Neith folgte dem Banner der Hopliten nach, mit deutlichem Abstand, wie es aussah, anstatt sie anzuführen!

Verwundert kniff er seine Augen zusammen. Das konnte nicht sein! Das entsprach ganz und gar nicht seinem Befehl! Doch das bunte Stück Stoff mit der aufgemalten Göttin tanzte munter hinter dem falken­gesichtigen Horus hinterher. Erzürnt rammte er den Schaft seiner Lanze in den trockenen Boden. Was dachte sich der Junge eigentlich dabei, einfach seinen Befehl zu ignorieren? Das grenzte ja beinahe an Rebellion! Schnaubend, wie ein wütender Stier, ver­fluchte er in diesem Augenblick seine Gutmütigkeit. Er hätte auf seine eigene Erfahrung vertrauen sollen, anstatt auf das Geschwätz eines alten Soldaten zu hören! Ahmose war noch zu jung, zu unerfahren, um eine derart große Gruppe Soldaten zu lenken. Ganz egal, was ihm Amunher-chepeschef, der Truppen­vorsteher von Suene, Gutes über ihn berichtet hatte. Ahmose besaß noch lange nicht das Ansehen innerhalb der Truppe, das er benötigte, damit ihm seine Krieger blind in jede Schlacht folgten. In ihm steckte noch zu viel von dem wilden Kind, das sich vehement geweigert hatte, die Regeln des Lebens und der Maat, der kosmischen Ordnung, anzuerkennen. Er war immer noch viel zu impulsiv. Das hatte er gestern Abend bei der Angriffsbesprechung bemerkt, als Ahmose nur mit Mühe sein aufbrausendes Tempe­rament hatte zügeln können.

Psammetich seufzte unhörbar. Was gäbe er darum, wenn sein Freund Taperu noch leben würde. Cnum-ib-Re, wie er mit vollem Namen hieß, war der fähigste General, den sein Vater, Pharao Necho, jemals aufbie­ten konnte. Sein Tod während der Schlacht vor Karkemis hinterließ bei ihm eine schmerzhafte Lücke. Wahrscheinlich lag es an diesem sentimentalen Gefühl, das er immer noch für Ahmoses Vater hegte, dass er zugestimmt hatte ihm eine ganze Division zu unterstellen. Jetzt blieb ihm nur zu beten, dass die göttliche Neith, die Beschützerin der Stadt Sais und aller ihrer Einwohner, sich auch des Knaben erbarmte, dessen Truppen einen gewaltigen Anteil zu Sieg oder Niederlage seiner Armee beitragen würden.

 

Der Kampf zog sich über den gesamten Vormittag. Die Ausfälle bei ihren Streitwagen waren enorm. Dennoch gelang es den Illyriern, die nubischen Bogenschützen derart zu bedrängen, dass sich Ahmoses Truppen beinahe ungehindert auf die Fußsoldaten stürzen konnten. Doch die langen Lanzen hielten ihn und sein Gefolge länger auf, als gedacht. Stück für Stück fielen sie unter wütenden Schwerthieben zu Boden.

Ahmose kämpfte an vorderster Front, zwischen seinen Axtträgern und den griechischen Hopliten. Sein Schwert zerschlug Speere und Schilde, traf Glieder und Köpfe und schien ein zwanghaftes Eigenleben zu entwickeln. Er bemerkte nicht, dass sich die Nubier immer weiter in den Palmenhain zurückzogen.

»Mach Platz für General Potasimto!«, dröhnte auf einmal eine stolze Stimme in seinem Rücken. Gleich­zeitig drückte sich der harte Buckel eines schweren Schildes in seine Rippen und stieß ihn kraftvoll zur Seite. Er stolperte, spürte die Spitze einer Lanze über die bronzenen Schuppen seiner Lederrüstung rut­schen und stöhnte laut auf, als sie seinen Körper traf. Wild schlug er um sich, ohne darauf zu achten, wen er erschlug. Blut spritzte auf seine nackten Arme, die bereits mit einer klebrigen Kruste überzogen waren.

Plötzlich ließ der Kuschit vor ihm seinen Schild fallen, drehte sich um und rannte in wilder Hast davon. Als hätten sie nur auf sein Zeichen gewartet, taten es ihm seine Kameraden nach.

 

In Wirklichkeit hatten die aufständischen Kuschiten nicht den Hauch einer Chance, fand Ahmose. Sie waren den Ägyptern waffenmäßig und zahlenmäßig weit unterlegen. Pharao Psammetich hätte den Kampf abbrechen und ihnen einen Friedensvertrag diktieren können. Aber er tat es nicht. Keine hundert Schritte von ihm entfernt wogten die Fluten des Nil gegen das schilfbestandene Ufer. Doch von den hohen, festen Halmen war kaum noch etwas zu sehen. Als habe sie eine Herde Büffel niedergewalzt, bildeten ihre Stängel eine schwankende Brücke zum letzten Schiff der Kuschiten, das noch Rettung versprach. Direkt vor ihm versuchte eine Gruppe die ausliegenden Planken zu erreichen. Doch er, Apries und die Hopliten rannten leichtfüßig hinter ihnen her, trotz ihrer schweren Waf­fen, denen sich die Fliehenden bereits entledigt hatten. Lanzen flogen und spießten mehrere Flüchtlinge auf. Die letzten Schützen auf dem Schiff spannten ihre Bögen.

Ahmose erschien alles wie ein böser Traum. Seine Rüstung, seine Waffen und seine ungeschützten Arme und Beine waren Blut verklebt. Erschöpft sah er zu Apries. Der süßliche Geruch des Todes umwehte sie wie ein Leichentuch. Die wilden Tiere, die Krähen und Aasfresser würden in den nächsten Tagen einen reich gedeckten Tisch vorfinden. Ahmose erkannte in dem befleckten Gesicht des Prinzen hoffnungslosen Zorn. Er schien keine Freude über den Sieg zu empfinden. Ja, er schaute eher grimmig zum Wagen seines Va­ters, der bereit schien, den Gegner bis auf den letzten Mann zu vernichten. Ahmose empfand ähnlich. Er hatte getötet, doch nur um sein eigenes Leben zu schützen. Das, was nun vor ihnen lag, war reines, mit­leidloses Abschlachten. Eine Vergeudung von Leben, das man besser zu seinem eigenen Nutzen geformt hätte. Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da flog ihnen ein Pfeilhagel entgegen.

Reflexartig schubste er Apries zur Seite und warf sich über ihn. Sein Herz raste vor Angst, sodass er nicht bemerkte, dass ihn der Pfeil streifte, der seinem Onkel galt. Der lag reglos unter ihm auf dem Boden, während die Hopliten das Schiff enterten.

War Apries getroffen worden? Er war doch nicht etwa tot? Das durfte nicht sein! Schnell drückte sich Ahmose hoch, packte die Schulter des Prinzen und drehte ihn herum. Sein Blick wanderte über dessen Körper, aber einen Pfeil oder eine blutende Wunde konnte er nicht finden. Dafür war sein Gesicht dick mit Schlamm über­zogen. Hastig strich er ihn fort und wurde mit einem lauten Stöhnen belohnt. Ahmose atmete erleichtert auf, zog seinen Onkel hoch, bis er auf dem Boden saß, und richtete sich auf. Apries war ihm so lieb, wie ein richtiger Vater: Meistens war er streng, doch immer hilfsbereit und verständnisvoll.

Sein Gönner strich über seine verschmutzte Schläfe und spuckte mehrmals aus, um den Schlamm aus seinem Mund zu bekommen.

»Ahmose, was hast du getan? Mein Kopf dröhnt, als habe mich eine Streitaxt getroffen.«

»Ich glaube«, grinste Ahmose, »ich habe dir soe­ben dein Leben gerettet, mein Prinz.«

 

Es war ein teuer erkaufter Sieg, trotz allem, aber Pharao Psammettich ließ sich seine gute Stimmung nicht nehmen. Den Tag nach ihrem glorreichen Sieg erkor er zum Freudentag. Seine Soldaten durften sich ausruhen, nachdem sie ihre Waffen und Rüstung gereinigt hatten. Die unteren Ränge putzten die Wa­gen und Pferde. In zwei Zelten lagen die Verwundeten. Apries saß zusammen mit Ahmose in seinem Zelt. Der kurze Schnitt unterhalb Ahmoses Rippen war genäht und verbunden worden. Nun ruhten sie sich aus. Vor ihnen auf einem kleinen zusammenlegbaren Holz­tischchen standen zwei Becher mit Wein.

»Sehe ich schlimm aus?«, fragte Apries und betastete vorsichtig seine blau verfärbte Gesichtshälfte. Beim Sturz war er auf einen im Schlamm versteckten Stein­brocken gefallen.

»Dafür, dass dich die Kuschiten beinahe in eine Nil­gans verwandelt hätten, siehst du sogar noch richtig gut aus.«

»Mache dich nicht über mich lustig, Ahmose. Ich trage schon genug Schande, weil ich mich habe ablenken lassen. Du hast mein Leben gerettet, dafür werde ich dir in Zukunft noch dankbar sein. Wenn du diesen Feldzug überlebst, sorge ich dafür, dass du eine besondere Belohnung erhältst.«

»Kannst du für mich bei deinem Vater um Merithneiths Hand bitten?«, fragte er schüchtern. Apries sah ihn bestürzt an.

»Das kann ich leider nicht. Und ich fürchte, deine Hoff­nungen sind vergebens. Der Pharao will sie Aspelta geben, sollte er überleben, oder einem anderen König. Aber ich könnte dich ins Haus der Dame Ajwigabe einladen, auch wenn das nur einen schwachen Trost darstellt. Nach allem, was du für mich getan hast, hätte ich vielleicht niemals mehr die Mädchen der Dame Ajwigabe beglücken können.«

Ahmose schüttelte traurig seinen Kopf. »Bist du dir sicher, dass dein Vater seine Meinung nicht noch ändern könnte?«

Apries seufzte laut. »Wenn ich mir in Einem sicher bin, dann darin, dass mein Vater seine Meinung niemals ändern wird.«

Kapitel 1

530 v. Chr

Ich habe schlecht geschlafen heute Nacht. Seit einigen Tagen quälen mich meine Erinnerungen und werfen mich um Dekaden in die Vergangenheit zurück. Und dann kommen sie, die Gedanken und die Personen, die mir alles bedeutet haben, zeigen mit ihrem Finger auf mich und klagen mich an. Dabei habe ich alles versucht, das in meiner Macht stand, um sie zu retten: Pharao Apries, meinen Gönner und Onkel, Nachtsebabastet, meine über alles geliebte Frau, Ahmose, mein großartiger Sohn, und Patarbemis, mein einziger, wirklicher Freund.

 

Mein Name ist Ahmose, der Sohn des Mondes, die Griechen nennen mich Amasis, die Hebräer Ahmose, und die Perser Ahmes.

Ich trage die Kronen beider Länder Ägyptens seit vierzig Nilfluten. Viele meiner Untertanen halten mich für den größten Pharao gleich nach Tutmosis dem Großen. Sie meinen, ich sei der Liebling der Götter, aber ich weiß es besser. Für mich wird es kein Wieder­erwachen nach meinem Tod geben. Die Feder der Maat wird mein Herz als zu schwer befinden und es der Göttin Ammut übereignen. Denn ich habe gefehlt, in einem Ausmaß, das eine Aufnahme ins Gefilde der Binsen ausschließt: Ich habe meinen Freund, meinen Mentor, meinen Förderer und mein eigenes Blut ge­tötet, wenn auch nicht persönlich, so doch durch meine Taten. Meine Reue zerfrisst mich seit Jahren. Nichts und niemand kann mich davon reinwaschen. Deshalb hinterlasse ich der Nachwelt diese Papyri, damit sie sich ein eigenes Bild machen können von mir, und mich richten können, nach ihrem Gutdünken.